Hunderttausende Kunden hätten niemals einen Vertrag mit Teldafax
abschließen dürfen. Der Insolvenzantrag des Stromhändlers kam zu spät.
In der Not hatte der Konzern sogar mit Kriminellen verhandelt.
Es
ist 12.45 Uhr, als im Amtsgericht Bonn am 14. Juni 2011 ein Schreiben
eingeht. Der Vorstand der Teldafax Holding AG, Deutschlands größter
Stromhändler, hat die Insolvenz beantragt. Keine Stunde später, um 13.38
Uhr, bestellt das Gericht den Düsseldorfer Anwalt Biner Bähr zum
vorläufigen Insolvenzverwalter. Bähr hat den Möbelhersteller Schieder
abgewickelt und Hertie betreut, er ist ein erfahrener Mann. Mit einem
Team von Anwälten fährt Bähr noch am selben Tag nach Troisdorf in die
Teldafax-Zentrale.
Was er dort vorfindet, schockiert selbst ihn,
240.000 ungeöffnete Briefe, die Buchhaltung ist auf dem Stand von März.
Mehr als 750.000 potenzielle Gläubiger hat das Unternehmen nun, so viele
wie bei keiner anderen Insolvenz der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Ein
Jahr ist das her. Bähr und seine Leute haben sich seitdem fast jeden
Tag mit Teldafax beschäftigt. Im ehemaligen Konferenzraum des Vorstands
haben sie ihren "War-Room" eingerichtet, Insolvenzanwälte, Betriebswirte
und Energierechtler sitzen dort vor ihren Laptops, lesen Akten und
werten E-Mail-Konten aus. "Ich habe noch nie so viel gelesen wie im
vergangenen Jahr", sagt Bähr.
"Wir haben den Fall gerichtsfest aufgearbeitet"
Er
bittet in sein Büro in der Düsseldorfer Innenstadt, ein helles,
verglastes Eckzimmer. Die Rollos sind heruntergelassen, die Sonne steht
direkt auf den Fenstern. Bähr trägt einen schwarzen Anzug, eine
pastellfarbene Krawatte, die Haare akkurat gescheitelt. "Wir haben den
Fall gerichtsfest aufgearbeitet", sagt er. "Heute wissen wir, schon seit
Mai 2009 war das Unternehmen durchgängig insolvenzreif." Der Antrag am
14. Juni 2011 ist zwei Jahre zu spät gestellt worden. Hunderttausende
Kunden hätten niemals einen Vertrag mit Teldafax abschließen dürfen.
Um
Neukunden zu gewinnen, verkauft Teldafax Strom unter dem Einkaufspreis.
Für ein paar Monate mag das gut gehen, aber über Jahre? Spätestens im
Sommer 2009 mutiert das Unternehmen endgültig zu einem Schneeballsystem.
Immer neue Kunden muss Teldafax finden, um finanzielle Lücken zu
schließen. Mit jeder Kilowattstunde, die Teldafax verkauft, steigen auch
die Stromsteuern.
Bereits 2008 ist zu erkennen, dass die
gezahlten Steuerabschläge zu gering sind. Am 4. Juni 2009 fordert das
Hauptzollamt Köln die Stromsteuern nach: 28,3 Millionen Euro schuldet
das Unternehmen dem Fiskus. Das Zollamt schickt zwei Finanzbeamte zur
Prüfung. Die Firma sei bilanziell überschuldet, schreiben sie in ihrem
Gutachten, trotzdem räumt die Behörde eine Stundung ein. Am 1. September
2010, ein Jahr nach der Prüfung, zahlt Teldafax 13 Millionen Euro an
den Fiskus, am 3. September fließen 12,4 Millionen Euro. Das Geld stammt
aus einer Bonusaktion, die das Unternehmen im Sommer 2010 aufgelegt
hat. Allein durch den Sommerrabatt entsteht dem Unternehmen
mittelfristig ein Schaden von fast 20 Millionen Euro.
Rechtsstreit um Teldafax-Insolvenz
Tausende Euro an Kriminelle
Auch
danach bleibt Teldafax klamm. In einer E-Mail vom 24. September 2010
räumt Teldafax-Chef Klaus Bath ein, dass das Unternehmen Schwierigkeiten
hat. Teldafax habe fünf Millionen Euro auf dem Konto, schulde aber
Lieferanten kurzfristig 32 Millionen Euro. "Wenn ich nun noch per
Zehn-Prozent-Regel großzügig sieben Millionen Euro abziehe, besteht
trotzdem aktuell eine Liquiditätslücke von rund 20 Millionen", schreibt
er.
Der Teldafax-Vorstand verhandelte sogar mit Kriminellen
Seit
dem Frühjahr 2009 versucht das Teldafax-Management deshalb, das
Unternehmen zu verkaufen. "Am besten an einen dummen Russen oder
Araber", erinnert sich einer, der dabei war. Doch zahlreiche
Interessenten springen ab. Das Problem des Teldafax-Vorstandes: Es liegt
kein testierter Jahresabschluss vor. Am 28. Oktober 2009 erhält
Vorstandschef Bath Post. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO teilt
ihm mit, dass sie die Prüfung der Bilanzen unterbrochen habe: "Die uns
vorgelegten Unterlagen legen den Schluss nahe, dass die Gesellschaft zum
31. Dezember 2008 bilanziell überschuldet war und vermutlich auch
aktuell weiterhin ist."
In der Not verhandelt der
Teldafax-Vorstand sogar mit Kriminellen. Es muss 2009 gewesen sein, als
sich ein Mann aus Kairo meldet, er sagt, er sei ein Vermittler und könne
etwa 30 Millionen Dollar organisieren, es handele sich dabei um
Lösegeld somalischer Piraten. Er bittet um eine Überweisung von 150.000
Euro, um "Vorlaufkosten" zu decken. Die Buchhaltung von Teldafax sendet
das Geld nach Kairo.
Im Internet hat dieser Trick längst einen
Namen: Nigeria-Scam. Häufig geht es dabei um kleine Beträge: Auf
Immobilienportalen preisen Ganoven günstige Wohnungen in Toplage
meistens in London oder Paris an. Wer sich meldet, bekommt eine E-Mail
in der es heißt, der Vermieter sei gerade in Dubai oder Lagos, man könne
die Wohnung aber sofort beziehen, sobald man einige hundert Euro in die
Fremde überweist. Das Geld ist dann futsch.
"Rückblickend würde ich eine Sache anders machen"
Die
Zahlung 2009 hat Klaus Bath angewiesen. Der ehemalige Feuerwehrmann ist
bis März 2011 Chef von Teldafax. Inzwischen ermittelt die
Staatsanwaltschaft gegen ihn. Er möchte sich nicht mehr zum Fall
Teldafax äußern. Im August und September 2011 ist er noch gesprächiger.
Am Telefon erläutert er damals seine Sicht der Dinge. Nach dem Gespräch
gibt er per E-Mail mehrere Zitate frei. Unter anderem: "Rückblickend
würde ich eine Sache anders machen: Ich hätte schon, nachdem die ersten
Zeitungen im Oktober 2010 über Teldafax berichtet haben, Insolvenz
anmelden können."
Mitte September ist er sogar zu einem Treffen
in Berlin bereit. Er bittet in ein Café am Kürfürstendamm. Mit einigen
Minuten Verspätung trifft er ein. Er setzt sich an einen der runden
Tische, die auf dem breiten Bürgersteig aufgestellt sind. Bath trägt
einen schwarzen Anzug, der oberste Hemdknopf ist offen. Seinen
Gewerkschafterbart hat er ordentlich gestutzt. Er bestellt schwarzen
Kaffee und beginnt zu erzählen. Wie er Teldafax geführt hat, dass es
kein Schneeballsystem war. Wie beim Telefonat besteht er darauf, dass
das Gespräch vertraulich stattfindet, Zitate dürfen nur dann verwendet
werden, wenn er sie schriftlich freigibt.
Wenige Monate nach dem
Gespräch holt ihn sein autorisiertes Zitat ein. Ein Anwalt aus
Süddeutschland droht ihm mit einer Schadenersatzklage, weil sein Mandant
erst Ende Oktober 2010 einen Vertrag bei Teldafax unterschrieben hat.
Seitdem schweigt Bath.
Kein Problem", sagt Insolvenzverwalter
Bähr. "Wir haben genug Beweise."Auch gegen andere Gläubiger, die
frühzeitig von der Schieflage bei Teldafax wussten, hat Bähr Material
gesammelt. Vom Hauptzollamt verlangt er einen Großteil der Stromsteuer
zurück, der Fußballclub Bayer Leverkusen soll 16 Millionen Euro an
Sponsorengeldern zahlen und auch mit den Netzbetreibern, die den
Teldafax-Strom durch ihre Netz leitete, verhandelt Bähr. Insgesamt
fordert er mehr als 150 Millionen Euro zurück. Die Rechtsstreitigkeiten
könnten Jahre dauern.
Orig. Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/rechtsstreit-um-teldafax-insolvenz-wir-haben-genug-beweise-1.1381932-2
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